Wohnheim für allein stehende berufstätige Frauen Ulm, Beyerstraße

Projekttyp:

Autonome Frauenwohnprojekte

Standort:

Ulm

Projektierungsbeginn:

1948

Fertigstellung/ Erstbezug

1953

Kontakt:

Ulmer Wohnungs- und Siedlungs-Gesellschaft mbH

www.uws-ulm.de

Schwerpunkte:

Projekt eines überparteilichen Frauenverbands zur Bekämpfung der kriegsbedingten Wohnungsnot

Erdgeschoss mit Gaststätte (Plan: Archiv uws)
Normalgeschoss (Plan: Archiv uws)
Projektbeteiligte:
Initiatorin:

Mitfrauen des „Überparteilichen Frauenarbeitskreises Ulm“ (insbesondere die langjährige erste Vorsitzende des AK Gertrud Brandt) auf Anregung der Architektin und Mitgründerin des Arbeitskreises Sigrid Kaufmann.

Eigentum:

Überparteilicher Frauenarbeitskreis Ulm (im Folgenden: AK)

Architektur:

Sigrid Kaufmann, Beamtin beim Stadtplanungsamt Ulm und Edeltraud Feuer

Offizielle Bauplanung: Architektenbüro Riedle (in dem Edeltraud Feuer angestellt war)

Kooperation:

Oberbürgermeister und Stadtverwaltung Ulm (Unterstützung)

Umfang:
Projektumfang:

Der Erste von zwei Wohnungsneubauten, die vom AK verwirklicht wurden.

Wohnungen:

58 Wohneinheiten, jeweils mit Küche und Balkon in zwei Flügeln mit vier bzw. sechs Obergeschossen: 20 1-Zimmer-Wohnungen mit Etagenbad und -toilette (26 m²), alle anderen Wohnungen hatten Bad und Toilette integriert: zehn 1-Zimmer-Wohnungen (26 m²), 17 2-Zimmer-Wohnungen (34 m² bis 38 m²), 11 größere 2-Zimmer-Wohnungen (ca. 45 m²).

Im Laufe der Jahre wurden vier Wohnungen zu zwei Wohnungen zusammengelegt und jeweils eine der beiden Küchen in ein Bad umgebaut. Die 2-Zimmer-Wohnungen wurden anfangs oft von Verwandten genutzt, z. B. Mutter und Tochter.

Gemeinschaftsflächen:

Vier Büro- bzw. Abstellräume mit 10 m², ein gemeinschaftlicher Wäscheraum zum Waschen, Trocknen und Mangeln (eine einzige Waschmaschine mit Benutzungsplan).

Gemeinschaftsräume als gemütlicher Treff konnten aus Kostengründen nicht realisiert werden.

sonstige Flächen:

Drei Räume im EG mit separatem Eingang für die Mütterschule e. V. Nach deren Umzug in das zweite Projekt wurden die Räume als Arztpraxis, später als Architekturbüro genutzt und heute wieder als Wohnung.

An Stelle von Gemeinschaftsräumen gab es im EG eine Gaststätte, vom Gastwirt selbst finanziert.

Kosten/Mieten:

Die Gesamtkosten betrugen 400.000 DM.

Finanzierung:

Ein Bausparvertrag über 180.000 DM deckte den Großteil der Baukosten ab. Hinzu kamen Fördermittel. Auf dieser Basis und unter Fürsprache der Stadtverwaltung fanden sich schließlich – nachdem die Frauen zunächst nicht ernst genommen worden waren – Banken zu Krediten für die Restfinanzierung bereit.

Zusätzlich erhielten die Heimatvertriebenen und Bombengeschädigten unter den beteiligten Frauen – das waren weit mehr als die Hälfte – Fördermittel, die einen wesentlichen Baustein der Finanzierung ausmachten.

Ziele/Motivation:
Zielgruppen:

Allein stehende berufstätige Frauen.

BewohnerInnenstruktur:

Die ersten Bewohnerinnen waren überwiegend in qualifizierten Berufen tätig – von der Verwaltungsangestellten über die Bibliothekarin bis zur Ärztin – hinzu kamen einige nicht berufstätige Witwen bzw. Hausfrauen und einige allein stehende Männer, die ebenfalls keine eigene Wohnung fanden oder Verwandte von Bewohnerinnen waren.

Heutige Bewohnerinnen sind u. a. Studentinnen, Krankenschwestern, Spätaussiedlerinnen. Die letzte Ur-Bewohnerin des ersten Wohnheims wird in Kürze in ein Altersheim umziehen.

Zielsetzungen:

Ziel war es, allein stehenden Frauen, die in der Nachkriegssituation keine Chance hatten, aus ihren möblierten Zimmern herauszukommen, eine ihrer selbständigen Lebensweise angemessene Wohnmöglichkeit zu schaffen. In den weitgehend zerstörten Städten mit extrem vielen Wohnungsbedürftigen, deren Zahl durch KriegsheimkehrerInnen und Vertriebene noch vergrößert wurde, hatten Familien mit Kindern absoluten Vorrang.

Die finanzielle Belastung der künftigen Mieterinnen sollte so niedrig sein, „damit der ins Auge gefasste Personenkreis zum Zuge kommen kann“. Deshalb war die Finanzierung so schwierig. Die Bewohnerinnen waren nicht durchweg bedürftig, aber Frauen mit geringen Mitteln sollten nicht ausgeschlossen werden.

Die Frauen konnten Freundschaften im Haus schließen, aber auch ihre Tür hinter sich zumachen. Einige Frauen wohnten über Jahrzehnte im Haus, andere zogen aus, um bspw. mit Verwandten zusammen zu ziehen oder in eine andere Wohnung, nachdem mehr Wohnraum geschaffen war – oder ins Altersheim.

Die Bewohnerinnen konnten als Mitfrauen am Programm des AK teilnehmen, das sie teilweise auch aktiv mitgestalteten. Dazu gehörten: ein Ausflug pro Jahr, meist mit kunstgeschichtlicher Führung durch die zweite Vorsitzende, gelegentliche Vorträge, anfangs mehr politisch, später auch über Reisen, Weihnachtsfeier, Weiberfasnet (eine Ulmer Institution, bei der viele hundert Ulmer Frauen seit 1949 in männerfreiem Raum Fasching feiern, mit vielen Kabarett-Einlagen) sowie die Mitfrauen-Versammlung.

Partizipation:

Die Frauen des Arbeitskreises planten selbst die Wohnheime, suchten die Grundstücke und organisierten die Finanzierung (Bauausschuss des AK).

Es war erwünscht, dass die Bewohnerinnen Mitfrauen im AK werden, was kein Problem darstellte. Der AK bot ständig wöchentliche Sprechstunden an, während der Planungsphase für Interessentinnen, später um Anliegen der Bewohnerinnen zu besprechen.

Die Lokalpresse berichtete wohlwollend über die Projekte. Zur Einweihung des zweiten Projekts erschien ein ausführlicher Bericht, der Hochachtung gegenüber Mut, Ausdauer, Hartnäckigkeit und Zähigkeit der Frauen zum Ausdruck brachte und besonders hervorhob, dass sie die Lösung eines kommunalen Problems selbst in die Hand genommen hatten. Schon über die erste Versammlung im Januar 1951, in der den 70 Interessentinnen der Stand der Planungen vorgestellt worden war, hatten beide Lokalzeitungen berichtet: „Ein Wohnheim für Alleinstehende – ein Plan nimmt Gestalt an“.

Architektur/Städtebau:
Lage:

Das Wohnheim wurde an einem zentral gelegenen Ort realisiert. Bei der Grundstückssuche wurde Wert auf Ruhe, gute Luft und eine schöne Aussicht gelegt.

Gebäude:

Die Wohnungen sind mit Aufzügen erschlossen, zentral beheizt, modern und zweckmäßig, mit großen Fenstern und einem kleinen Balkon. In den 1-Zimmer-Apartments war die Küchenzeile im Eingangsbereich untergebracht. Fast alle Wohnungen haben ein kleines Bad mit Badewanne. Sie werden noch heute als sehr zweckmäßig empfunden.

Chronik

1948: Die Architektin Sigrid Kaufmann referiert über ihre Idee eines Heims für berufstätige Frauen. In der Folgezeit wurde die treibende Kraft und überragende Persönlichkeit Gertrud Brandt die langjährige erste Vorsitzende des AK. Die Tochter eines Architekten steckte ihre ganze Energie in den AK. Sie und andere Mitfrauen des Überparteilichen Frauenarbeitskreises Ulm wurden als Expertinnen für Wohnungsbau eingeladen, z. B. in die Ev. Akademie Bad Boll

1950: Ein Bauplatz wird gefunden, die Verhandlungen mit dem Eigentümer ziehen sich jedoch über 1 ½ Jahre hin. Die Finanzierung gestaltet sich zunächst sehr schwierig, da die Banken die ehrenamtlich tätigen Frauen nicht ernst nahmen, zumal sie keine finanzielle Sicherheit bieten konnten. Die Unterstützung durch die Stadtverwaltung, die Gründung eines Vereins und die Bereitschaft der beiden Vorsitzenden des AK, persönlich für die Kredite zu haften, halfen schließlich, diese Hürde zu überwinden

Januar 1951: 70 Bewerberinnen werden über den Stand der Bau- und Finanzierungsplanung informiert – wöchentliche Sprechstunde für Interessentinnen in der Privatwohnung der ersten Vorsitzenden des AK, der über keine Räume verfügt (später Büroräume in den Wohnheimen)

Oktober 1952: Grundsteinlegung

Dezember 1952: Richtfest

Juli 1953: Fertigstellung und Einweihung

Verwaltung der Häuser

ab ca. 1960: durch eine Fachkraft für Buchhaltung

1963-86: Ruth Junghans übernimmt die Buchhaltung beider Häuser, kümmert sich auch um Vermietungen und vieles andere im Haus für ein sehr geringes Entgelt

1986: Auflösung des Überparteilichen Frauenarbeitskreises Ulm und Übergabe der Gebäude an die Stadt Ulm (schon 1973 hatte der AK festgestellt, dass alleinstehende Frauen auf Grund der Erschließung großer Wohngebiete genügend Wohnraum finden)

Entwicklung seit Beginn:

Das Wohnheim existiert weiterhin und wird von der Ulmer Wohnungs- und Siedlungs-Gesellschaft mbH uws bewirtschaftet. Die uws berücksichtigt die Zweckbestimmung der Wohnungen und vergibt weiterhin an alleinstehende Frauen.

Umsetzung feministischer Planungskonzepte im Projekt

• Schaffung bezahlbaren Wohnraums für berufstätige, selbständige Frauen

• eigene Organisation, Planung und Verwaltung

• Schaffung von Wohnraum in Frauenhand

• eine eigene vollständige Wohnung für jede Frau

• Gemeinschaftswaschküchen

• Öffentliche Einrichtungen im Haus

• Gute Infrastrukturanbindung

Weitere Projekte der Initiative:

Wohnheim für allein stehende berufstätige Frauen Ulm, Karlsplatz|2

Quellen:

Überparteilicher Frauenarbeitskreis Ulm (Hg) (1973): Initiative und Beharrlichkeit. 25 Jahre Überparteilicher Frauenarbeitskreis Ulm. Eine Dokumentation verfasst von Helga Wiegandt, Ulm: Selbstverlag

Wittich, Uta (2008): Zwei Wohnheime für alleinstehende berufstätige Frauen, errichtet 1953 und 1956 in Ulm. In AEP Informationen Schwerpunktheft „a room of one’s own“. Ein feministischer Blick aufs „Wohnen“. Herausgegeben vom Arbeitskreis Emanzipation und Partnerschaft e.V. 35. Jahrgang, Nr. 2/2008. Innsbruck, S. 14-16

Wittich, Uta (2008): Recherchen bei der Wohnungsgesellschaft uws und Zeitzeuginnen