Frauenstadtteilzentrum Kreuzberg Schokoladenfabrik

Projekttyp:

Autonome Frauenwohnprojekte

Standort:

Berlin

Projektierungsbeginn:

1981

Fertigstellung/ Erstbezug

1985/1986/2003

Kontakt:
Schwerpunkte:

Feministisches Frauen/Lesbenprojekt mit stadtteilpolitischer und Ökologischer Zielsetzung, Hausbesetzungsprojekt

Besonderheit

Nach 23 Jahren von neu gegründeter Genossinnenschaft erworben

Innenhof der Bewohnerinnen (Quelle: Broschüre 25 Jahre Schokofabrik)
So fing es an - das Schokocafé (Quelle: Broschüre Ökologische Maßnahmen im Frauenstadtteilzentrum)
Das Dachgewächshaus, eine Oase (Quelle: Broschüre Ökologische Maßnahmen im Frauenstadtteilzentrum)
Gebäudeschnitt durch die Gesamtanlage (Quelle: Broschüre Ökologische Maßnahmen im Frauenstadtteilzentrum)
Schemaschnitt der Komposttoilette (Quelle: Broschüre Ökologische Maßnahmen im Frauenstadtteilzentrum)
1. OG mit einer großen und einer kleinen Wohnung
4. OG mit einer WG-Wohnung
Projektbeteiligte:
Initiatorin:

Frauenstadtteilzentrum Kreuzberg e. V., Frauen aus der Kreuzberger Frauenbewegung

Eigentum:

Genossinnenschaft Schokofabrik eG (seit Dezember 2003, vormals Gemeinnützige Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft (GSW) mbH Berlin)

Architektur:

Gruppe Planschok(o): Eva Maria Jockeit-Spitzner, Antje Zimdars-Weigelt, Margot Gehrke, Waltraud von Demandowsky-Parow, Berlin

Kooperation:

Internationale Bauausstellung (IBA) Berlin

Sonstige Beteiligte:

Frauenstadtteilzentrum Kreuzberg e. V. (Betreiberin und Mieterin), Ökogruppe „Die Wüste lebt“, Kunstgruppe „Schwarze Schokolade“, Tischlerinnengruppe „Schokospäne“, Fotogruppe

Umfang:
Projektumfang:

Instandsetzung und Umbau einer ehemaligen Schokoladenfabrik (Baujahr 1896) zu einem Stadtteilzentrum für Frauen. Die Gesamtnutzfläche beträgt 2.000 m².

Wohnungen:

Zunächst sieben, ab 2003 durch Zukauf eines Hauses 22 Wohnungen.

Gemeinschaftsflächen:

Ein Dachgewächshaus, zwei Dachterrassen und ein großer Garten.

sonstige Flächen:

Zum Projekt gehörten die Kindertagesstätte „Schokoschnute“ (bis Ende 2007 mit einem Schülerinnenladen), Räume für offene Kinderbetreuung, eine Sportetage, eine Kunst- und Tanzetage mit Aktionsraum und Fotolabor, eine Werkstattetage, ein Café, ein türkisches Bad, diverse Büro-, Gruppen-, Beratungs- und Kursräume.

Kosten/Mieten:

Gesamtkosten Instandsetzung und Umbau 3,8 Mio DM.

Die Anfangsmiete betrug (1985) 4,51 DM pro m² Wohnfläche (Bruttokaltmiete).

Als 2003 das Sanierungsgebiet, in dem die Schoko lag, aufgehoben wurde und die GSW die Häuser Mariannenstraße 6/Naunynstraße 72 als Gesamtpaket zum Verkauf anbot, gründeten die Frauen die Genossinnenschaft Schokofabrik eG und initiierten die „Schokotanten“, um die Häuser auf Dauer für Frauen zu sichern. 2004 erwarb die Genossinnenschaft die Häuser der Mariannenstr. 6, Vorderhaus (z. Z. Mietwohnungen) und Hinterhaus (Frauenzentrum Schokofabrik), sowie das Erdgeschoss der Naunynstr. 72 im Vorderhaus und Hinterhaus (Büros, Frauenzentrum, Seminarraum und Kinderladen) und eine Wohnung im ersten Obergeschoss im Vorderhaus der Naunynstr. 72. Die anderen vierzehn Wohnungen in der Naunynstr. 72 wurden von den Bewohnerinnen oder Unterstützerinnen gekauft.

Die Kaufsumme für die Vorder- und Hinterhäuser Mariannenstr. 6 und Naunynstr. 72 betrug 966.000 €.

Finanzierung:

Die Kosten für Instandsetzung und Umbau wurden überwiegend mit Mitteln des Bundes und des Landes finanziert, für ökologische Maßnahmen erhielt das Projekt von der Ikea-Stiftung 250.000 DM, für Kunst am Bau vom Senat „Bauen und Wohnen“ Berlin 7.410 DM.

Die Personal- und Sachmittel des Stadtteilzentrums (incl. Betriebs- und Mietkosten) wurden bis 2003 zu 80 % durch den Berliner Senat bezuschusst – zunächst jeweils für ein Jahr bewilligt, ab 1991 mit festem Haushaltstitel bei der Senatsverwaltung für Frauen – der Rest musste aus Spenden und Einnahmen finanziert werden.

Der Kauf wurde finanziert durch die Beiträge der bis dahin 76 Genossinnen, über Privatdarlehen und einen Bankkredit von 250.000 Euro sowie durch die Wohnungskäuferinnen.

Ziele/Motivation:
Zielgruppen:

Ausschließlich Frauen, die mit anderen Frauen leben und wohnen wollen, sowie Frauen, die aufgrund ihrer Situation besondere Schwierigkeiten haben, Wohnungen zu finden, wie z. B. allein lebende Frauen mit Kindern aus dem Stadtteil, Lesben, Mädchen, die in betreuten Wohngemeinschaften leben, Frauen aus dem Frauenhaus, die mit Frauen leben wollen.

Zielsetzungen:

Schaffung von Frauenfreiraum auf allen Ebenen in Form eines Frauenstadtteil-, Beratungs- und Bildungszentrums für Frauen und Mädchen, die dort andere Verhaltensweisen nach eigenen, nicht durch Männer vermittelten und kontrollierten Vorstellungen entwickeln und ausprobieren können. Ziel ist die stadtteilbezogene Vernetzung von Frauenbedürfnissen: wohnen, arbeiten, kommunizieren, sich treffen, Feste feiern, Kinder betreuen, lernen usw. Das Projekt soll ein Kontaktzentrum für Frauen/Lesben aus der Frauenbewegung und für die Bewohnerinnen des Stadtteils, insbesondere für die hier lebenden türkischen Mädchen und Frauen, sein. Das Projekt soll der Förderung von Frauenkultur und -politik, aber auch der Entspannung und der Gesundheit von Frauen dienen und damit einen Beitrag zur Aufhebung der sozialen Diskriminierung von Frauen und Mädchen leisten.

Zwei der insgesamt sieben Wohneinheiten stehen der Nachbetreuung von Frauen aus dem Frauenhaus zur Verfügung.

Partizipation:

Das Projekt ging aus einer Hausbesetzung hervor. Die ersten Nutzungskonzepte wurden autonom entwickelt, erst zu einem späteren Zeitpunkt wurden Architektinnen hinzugezogen. Das Frauenstadtteilzentrum (FSZ) wird von den Bewohnerinnen und den dort arbeitenden Frauen selbst verwaltet. Formalisierte Hierarchien gibt es nicht, Entscheidungen werden auf dem wöchentlichen Plenum von den Anwesenden getroffen. Mit dem Kauf der Häuser durch die neu gegründete Genossinnenschaft Schokofabrik eG wurden die Gebäude auf Dauer für Frauen gesichert.

Architektur/Städtebau:
Lage:

Mitten in Berlin-Kreuzberg.

Gebäude:

Das FSZ besteht aus zwei 5-geschossigen Gebäudeteilen: Einem ehemaligen Fabrikgebäude in der Mariannenstraße und einem damit verbundenen Seitenflügel in der Naunynstraße, der ursprünglich als Wohngebäude genutzt wurde. Beide Gebäudeteile wurden saniert, umgebaut und umgenutzt. Zusätzlich wurde der gesamte Erdgeschossbereich der Naunynstr. 72 angemietet, um eine Öffnung zur Straße hin zu erzielen. Grundrissänderungen sollen eine möglichst flexible Nutzung ermöglichen.

Außenanlagen:

Als Ersatz für fehlende Balkone wurden Dachterrassen gebaut und der kleine Innenhof bepflanzt.

Ökologie:

Dem Umbau lag ein umfangreiches, von der Ökogruppe „Die Wüste lebt“ (einer Gruppe ökologisch orientierter Fachfrauen) entwickeltes ökologische Konzept zugrunde, das neben dem Einsatz möglichst umweltgerechter Baustoffe, einer Regenwassernutzung, einer Umluftheizung, einem Wärmerückgewinnungssystem und einem Dachgewächshaus auch eine eigens von der Gruppe entwickelte Komposttoilette vorsah, die auch gebaut und einige Zeit betrieben wurde – die erste und vermutlich einzige Komposttoilette, die in Berlin in einen Geschossbau eingebaut wurde. Sie ist allerdings inzwischen durch ein herkömmliches System ersetzt worden.

Chronik

1981: Besetzung des Gebäudes; Gründung des Vereins „Frauenstadtteilzentrum Kreuzberg“ e. V. (FSZ) und erste Verhandlungen mit der Eigentümerin über einen Nutzungsvertrag

1982: IBA Berlin sagt ihre Unterstützung des Projektes zu, Abschluss des Nutzungsvertrages zwischen GSW und FSZ; verschiedene Frauengruppen nehmen ihre Aktivitäten in provisorisch hergerichteten Räumen auf; die Sanierungsverwaltungsstelle Berlin-Kreuzberg stellt Baumittel in Höhe von 320.000 DM für erste Sicherungsmaßnahmen zur Verfügung

1983: Bezirksamt Kreuzberg sagt die Bereitstellung von Baumitteln in Höhe von 4,0 Mio DM zu; erste Personal- und Sachmittel für die Beratungs- und Bildungsarbeit vom Berliner Senat

1984: Erteilung der Baugenehmigung; vertragliche Sicherung der gesamten Bausumme (3,8 Mio DM) zwischen Bund, Land Berlin und der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft mbH, Berlin

1985: Fertigstellung des Wohnteils mit sieben Wohnungen

1986: Fertigstellung der Räume für Kinderbetreuung; Übergabe der ersten vier Etagen im Fabrikteil; Fertigstellung des EG im Vorderhaus und des Seitenflügels in der Naunynstraße; langfristiger Mietvertrag mit der GSW

1987: Fertigstellung des Cafés

1988: Fertigstellung des türkischen Bades

2003: Gründung der Genossinnenschaft Schokofabrik eG und der Initiative „1000 Tanten“ (die „Schokotanten“ übernehmen für einen oder mehrere Quadratmeter die Patenschaft)

Dezember 2003: Unterzeichnung des Kaufvertrages zwischen der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft (GSW) und der Genossinnenschaft Schokofabrik sowie den vierzehn Eigentümerinnen des Frauenwohnprojekts

Januar 2007: Auszeichnung mit einer Anerkennung beim Preis Soziale Stadt 2006

Entwicklung seit Beginn:

Das Projekt wurde zunächst als Verein betrieben, ab 2003 als Genossinnenschaft in Frauenhänden gesichert.

Das Projekt entwickelte sich im Laufe der Jahre aus einem provisorisch hergerichteten Sperrmüll-Idyll zu einem professionell ausgebauten Ensemble. Mit der Bereitstellung von öffentlichen Bau- und Personalmitteln wuchs es um weitere Gebäude(teile).

Umsetzung feministischer Planungskonzepte im Projekt

• Schaffung von Wohnraum exclusiv für Frauen/Frauenwohngemeinschaften

• Schaffung eins Ortes der autonomen Frauenöffentlichkeit mit einem vielfältigen Angebot

• Integration der Frauen und Mädchen aus dem Stadtteil

• Verbindung von Wohnen und Arbeiten

• Planung ausschließlich durch Frauen/Architektinnen, die Ausführung soweit wie möglich durch Bauhandwerkerinnen

• Selbstverwaltung des Projekts

• dauerhafte Sicherung des Wohnraums und der Einrichtungen in Frauenhand

• flexible Grundrisse für vielfältige Nutzungsbedürfnisse

• Gemeinschaftseinrichtungen für die Bewohnerinnen (Dachgewächshaus und -terrassen)

• gute Infrastruktur und ÖPNV-Anbindung

Quellen:

Felten, Barbara/Nutz, Manuela (Hg.) (1994): Projekte zwischen Bewusstseinsbildung und (Gegen-) Planung. Hannover/Göttingen, S. 179-180

Frauenzentrum Schokoladenfabrik e. V. (2005): Schokofabrik. 25 Jahre Frauenzentrum. Berlin

Homepage der Genossinnenschaft Schokofabrik eG: www.genossinnenschaft-schokofabrik.de (Zugriff Februar 2007):

Internationale Bauausstellung Berlin (Hg.) (1982): Planung eines Frauenstadtteilzentrums in Berlin Kreuzberg. Berlin

Karhoff, Brigitte/Ring, Rosemarie/Steinmaier, Helga (1993): Frauen verändern ihre Stadt: Selbstorganisierte Projekte der sozialen und ökologischen Stadterneuerung; vom Frauenstadthaus bis zur Umplanung einer Großsiedlung. FOPA e. V. Dortmund (Hg.), Zürich/Dortmund

S.T.E.R.N. – Gesellschaft der behutsamen Stadterneuerung Berlin mbH – Treuhänderischer Sanierungsträger Berlins (Hg.) (1988a): IBA Stadterneuerung. Berichte zur Stadterneuerung in Kreuzberg. Das Stadtteilzentrum für Frauen. Umbau einer alten Schokoladenfabrik. Berlin

S.T.E.R.N. – Gesellschaft der behutsamen Stadterneuerung Berlin mbH – Treuhänderischer Sanierungsträger Berlins und Frauenstadtteilzentrum Kreuzberg Schokoladenfabrik e. V. (Hg.) (1988b): Ökologische Maßnahmen im Frauenstadtteilzentrum Schokoladenfabrik. Berlin

Zimmer, Veronika (1989): Frauenkultureinrichtungen in Stadterneuerungsgebieten. In: Allers, Monika et al. (Hg.): Frauen erneuern ihre Stadt. Hamburg S. 91-102