Wohnnachbarschaft Dönchekante GbR

Projekttyp:

Frauengerechter Wohnungsbau

Standort:

Kassel

Projektierungsbeginn:

1980

Fertigstellung/ Erstbezug

1983

Schwerpunkte:

Selbstverwaltetes gemischtes Eigentumsprojekt mit baulich/räumlichen Konzepten für die frühe Selbständigkeit von Kindern

Die Erschließungsstraßen sind verkehrsberuhigt (Foto: Baufrösche, Kassel)
Der Glasgang im Hanggeschoss verbindet die Sonderräume aller Häuser (Foto: Baufrösche, Kassel)
Systemschnitt durch Gebäude und den vorgelagerten Hangkeller (Plan: Baufrösche, Kassel)
Auszug EG mit Gärten auf dem vorgelagerten "Vielzweckkeller" (Plan: Baufrösche, Kassel)
Projektbeteiligte:
Initiatorin:

Wohnnachbarschaft Dönchekante GbR, Kassel

Eigentum:

private Baufrauen und -herren als EinzeleigentümerInnen der Häuser; Wohnnachbarschaft Dönchekante GbR Eigentümerin der Gemeinschaftsflächen

Architektur:

Baufrösche GmbH, Kassel; Heidrun Hubenthal zusammen mit Michael Wilkens, Kassel (Freiraumplanung)

Umfang:
Projektumfang:

Neubau von 10 Reihenhäusern im Rahmen der Documenta urbana auf einem Grundstück von 2.237 m² Fläche.

Wohnungen:

Die Wohnflächen der Häuser liegen überwiegend bei ca. 100 m², je eine Wohnung hat 60 m² bzw. 250 m². Eines hat eine Einliegerwohnung und eines wurde für eine Wohngemeinschaft geplant. Die Häuser sind bis auf zwei vermietete Wohnungen von den Eigentümerinnen selbst genutzt.

Gemeinschaftsflächen:

Zusätzlich gibt es gemeinschaftliches Eigentum: ein Gemeinschaftshaus mit niedrigem Ausbaustandard für Treffen, Feste, Übernachtungsgäste usw., Grabeland zum Gemüseanbau, eine gemeinschaftliche Heizanlage mit Brennwertkessel (1983 eine technische Neuheit in der Region), einen Fahrradschuppen, Stellplätze und einen Müllplatz sowie Parkplätze. Das Gemeinschaftsgrundstück hat 877 m².

Kosten/Mieten:
Finanzierung:

Alle Häuser wurden mit Mitteln des Sozialen Wohnungsbaus, 2. Förderweg, gefördert mit Ausnahme des Wohngemeinschaftshauses, da Wohngemeinschaften zum damaligen Zeitpunkt nach den Förderrichtlinien nicht gefördert werden konnten (Beschränkung der Förderung auf Familien und nahe Verwandte).

Ziele/Motivation:
BewohnerInnenstruktur:

ErstbezieherInnen waren Alleinerziehende, Familien und eine 7-Personen-Wohngemeinschaft (Singles und Paare). Von den ErstbezieherInnen leben noch vier Parteien dort, sechs Häuser sind wegen Trennungen, beruflicher Veränderungen oder wegen eines erhöhten Flächenbedarfs in den nunmehr 25 Jahren von den ErsterwerberInnen verkauft worden. Das Wohngemeinschaftshaus wurde 1989 in zwei Wohnungen getrennt, wobei in der einen Wohnung inzwischen wieder eine 4-Personen-Wohngemeinschaft wohnt. Zum Zeitpunkt des Erstbezugs wohnten 27 Erwachsene im Alter von 23 bis 58 Jahren und 20 Kinder in den Häusern, 2008 sind es 23 Erwachsene im Alter von 22 bis 73 Jahren und zwei Kinder im Alter von 14 Jahren.

Zielsetzungen:

Das Projekt folgte dem Grundgedanken der Documenta urbana, die, bei hoher Dichte, eine Alternative zu den Siedlungen der 1970er Jahre entwickeln sollte. Die ursprüngliche Initiative ging von einer kleinen Gruppe Bauwilliger aus, die ihr Wohnen gemeinschaftlich organisieren wollten. Die Idee einer Baugruppe des gemeinschaftlichen Bauens war damals – zumindest in der Region – neu. Die endgültige Baugruppe fand sich über einen fast zweijährigen Prozess zusammen. Der kleinste gemeinsame Nenner dieser Gruppe war es, ein gemeinschaftliches Wohnprojekt zu bauen, weil keine/r der Baufrauen und -herren in einem freistehenden Einfamilienhaus wohnen wollte und alle eine Form von Gemeinschaft leben wollten, ohne dass im Vorhinein präzise Vorstellungen über das Zusammenleben explizit formuliert wurden. So war in der Planungsphase weitgehend offen, was sich an Gemeinschaft entwickeln und wachsen würde. Allerdings entschied sich die Gruppe dafür, neben den Reihenhäusern in Einzeleigentum gemeinschaftliches Eigentum im Rahmen einer GbR zu begründen, um der Gemeinschaft auch einen breiten baulichen Rahmen zu geben.

Ein Prinzip, das am konsequentesten in dem Wohngemeinschaftshaus umgesetzt wurde, war die Schaffung möglichst nutzungsneutraler Räume, die ebenso ein Kinderzimmer, als auch ein Schlaf- oder Arbeitszimmer sein können. Solche „Zimmermetamorphosen“ hat es in der 25-jährigen Geschichte des Projekts vielfach gegeben. Durch den hohen Anteil gemeinschaftlicher Freiflächen und das Gemeinschaftshaus sind die Möglichkeiten, sich zu begegnen und etwas gemeinsam zu unternehmen, ziemlich groß. Auffällig war, dass sich zuerst die Frauen bzw. Eltern am besten organisiert hatten, nämlich über die Alltagsbewältigung mit Kindern (Kinder in die Schule bringen oder auch gegenseitig auf sie aufpassen), um den jeweils anderen Eltern oder Elternteilen Freiräume zu verschaffen. Genauso schnell waren die Kinder in der Lage, sich gegenseitig zu organisieren und zusammen zu spielen, auch ohne die Aufsicht der Erwachsenen. Dies war durch die kinderfreundliche Straße möglich (verkehrsberuhigt), aber auch durch das vor der Tür liegende Naturschutzgebiet und die Gewissheit der Eltern, dass irgendjemand immer ein Auge auf die Kinder haben wird. Das Wohnprojekt hat es möglich gemacht, durch die partiell gemeinschaftliche Organisation von Alltag den Einzelnen und damit vorwiegend den Frauen persönliche Freiräume einzuräumen.

Partizipation der NutzerInnen

Die künftigen BewohnerInnen haben das Projekt gemeinsam mit den Architekten entwickelt. Die Grundlage bildete ein von den Architekten erstelltes Modell. Dieses orientierte sich an den Vorüberlegungen der vorausgegangenen Bauausstellung documenta urbana.

Die Entscheidungen über die Wohnungsgrundrisse und die Ausstattung der Reihenhäuser lag bei den EinzeleigentümerInnen. Dagegen wurde über alle von außen sichtbaren Bauteile (Fassaden, das Grasdach) sowie über die Ausgestaltung der Gemeinschaftsflächen gemeinsam entschieden. Da bei den Beteiligten die Mittel knapp waren, wurde das Projekt auf einen hohen Selbsthilfeanteil angelegt. Die Grasdächer und Außenanlagen wurden in Gruppenselbsthilfe errichtet, nur die Erdbewegungen und Schwerstarbeiten bei den Freiflächen wurden durch kleine Gartenbaufirmen ausgeführt. Außerdem leisteten die EinzeleigentümerInnen Selbsthilfe im Innenausbau der Häuser.

Architektur/Städtebau:
Lage:

Das Wohnprojekt liegt, am Stadtrand von Kassel, wie ein L am Hang unmittelbar oberhalb eines großen unbebauten, bis in die 1960er Jahre als Truppenübungsplatz genutzten Gebiets, das heute als Naturschutzgebiet ausgewiesenen ist.

Gebäude:

Diese besondere Lage wurde für ein besonderes Bauwerk genutzt: Einen der Südreihe der Häuser vorgelagerten 60 Meter langen Keller mit Glasgang. Das Dach des Kellers ist gleichzeitig der Garten mit einem Auftrag vom 18 cm Erde, mit Bäumen, Staudenbeeten und Rasenflächen. Jeweils zwei Parteien teilen sich einen Abgang in den Keller, die jeweilige Grundstücksgrenze verläuft auf der Mitte der Treppe. Die Keller sind auf ihrer hangseitigen Front vollständig verglast. Der vorgelagerte Glasgang wird als Durchgang zum Grabeland und als Gewächshaus genutzt.

Die Keller werden unterschiedlich genutzt, d. h. vom Gästezimmer über einen Musiksaal, eine Holzwerkstatt, eine Supervisionspraxis, ein Arbeitszimmer, Kinderzimmer, und einen Abstellraum sind alle Nutzungen vorhanden. Die besondere Idee für diesen Keller war es, einen Raum zu haben, der abgekoppelt vom eigentlichen Wohnhaus ist, indem man Tätigkeiten nachgehen kann, die Lärm machen (z. B. Musik oder Kreissäge), ohne dass das eigentliche Wohnen gestört wird. Das ungeschriebene Gesetz ist, das alles möglich ist auch bis spät in die Nacht. Akustisch ist der Keller so abgekoppelt, dass in den Wohnhäusern nichts zu hören ist.

Die sechs Häuser der Südseite sind durch das Kellerbauwerk mit einer 5 Meter hohen Pergola architektonisch klar von der Freifläche abgegrenzt. Die Westreihe der Siedlung hat einen als Souterrain aus der Erde herausgehobenen Keller, so dass dieser teilweise als Wohnraum genutzt wird.

Die Häuser sind zweigeschossig und haben durch das Pultdach in ihrem höchsten Teil Emporen, die zwar offiziell als Abstellräume ausgewiesen sind, aber in Wirklichkeit fast durchweg als Schlafräume genutzt werden. Die Häuser haben alle ein sog. Kernhaus, dem die Treppenhäuser vorgelagert sind, einerseits um die „Abwärme“ des beheizten „Kernhauses“ zu nutzen und andererseits den BewohnerInnen die Möglichkeit zu geben, sich auch zu verkleinern und das Haus in zwei getrennte Wohnungen zu teilen.

Die Häuser sind gut gedämmt und akustisch stark von einander getrennt und haben, gemessen an den z. T. geringen Wohnflächen zusammen mit den dazugehörigen Freiräumen einen hohen Gebrauchswert.

Außenanlagen:

Das Wohnumfeld bietet sowohl auf den gemeinsamen Erschließungsflächen innerhalb des gemeinschaftlichen Grundstücks als auch auf der Straße viele Möglichkeiten nachbarschaftlicher Begegnung. Die Straße ist ein wichtiger, das Wohnen ergänzender Freiraum, auf dem die Kinder ihre ersten Schritte selbständig gegangen sind und auch ohne Aufsicht spielen können.

Ökologie:

Ökologische Aspekte wurden in Form von Grasdächern mit einer hohen Effektivität für den Wärmehaushalt und die Verdunstungsmöglichkeit von Regenwasser umgesetzt, z. T. auch durch den Bau von Zisternen zur Nutzung von Regenwasser für den Garten sowie eine, für damalige technische Verhältnisse, hohe Ausnutzung der Primärenergie durch den Einbau eines Brennwertkessels in einem gemeinschaftlichen Heizsystem und durch die Vermeidung bauökologisch bedenklicher Baustoffe.

Chronik

1980-1982: Im Rahmen der documenta urbana war eine Bauausstellung mit 11 eingeladenen internationalen Architekten(-gruppen) geplant, bei der es darum ging, einen verdichteten Wohnungsbau mit einem hohen Maß an Wohnqualität als Gegenbeispiel zu den bekannten „Grünewiesesiedlungen“ der 1970er Jahre zu entwickeln

1981: Nachdem klar wurde, dass die Bauträger der documenta urbana (die beiden Wohnungsbaugesellschaften Neue Heimat (heute GWH) und die GWG Kassel) nicht die gesamte für die Bauausstellung vorgesehene Fläche bebauen würde, begannen die Planungen für das Projekt Wohnnachbarschaft Dönchekante

Ende 1983: Einzug der meisten Familien und der Wohngemeinschaft

1984: Fertigstellung der Freiräume

Entwicklung seit Beginn:

Trotz der inzwischen 25-jährigen Projektlaufzeit bildet die ehemalige gemeinsame Bau- und Planungsphase, sowie das Kümmern um das gemeinschaftliche Eigentum nach wie vor eine Grundlage um Neues zu entwickeln und entstehen zu lassen.

2008 wurde ein Konzept für Sonnenkollektoren zur Warmwasserbereitung erstellt, das 2009 realisiert werden soll.

Umsetzung feministischer Planungskonzepte im Projekt

• Hoher Anteil an gemeinschaftlichen Flächen, die die gegenseitige Unterstützung in der Alltagsbewältigung erleichtern

• eine Wohnung für eine Wohngemeinschaft

• Freiflächen auf den privaten Grundstücken, aber auch im Straßenraum für die Kinder zur Entlastung der Eltern

• nutzungsneutrale Grundrisse (gleich große Räume)

• Wohnküchen mit direktem Bezug zum Garten, Durchwohnen von innen nach außen

Quellen:

Informationen von Heidrun Hubenthal, Landschaftsplanerin und eine der InitiatorInnen